Hermann Reimer

Malerei und Zeichnungen     Berlin

Zu der Malerei von Hermann Reimer

Daniel Khafif - Schriftsteller und Kunsthistoriker

In der Malerei hat die Gattung “Interieur” eine lange Tradition und verfügt über eine hohe Vielseitigkeit.Nahezu alle bekannten Maler bis heute haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Die Darstellung von Innenräumen bzw. Zimmern mit und ohne Personen vermittelt uns viel über das private Milieu, die Arbeitswelt und das gesellschaftliche Umfeld der Menschen in ihrer Zeit.
Ein großer Teil von Reimers Malerei hat ihren Schwerpunkt in der Darstellung von Räumen. Seine Malerei offenbart die hohe Vielseitigkeit des Themas. Zum einen stellt er geschlossene Räume, die aus der Zeit gesprungen zu sein scheinen: Hotels, Ferienwohnungen, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Alle diese Bilder verfremdet und seltsam anrührend. Der andere Teil der Bilder öffnet den Innen– zum Außenraum, eine postindustrielle Landschaft ersetzt die Rückwand der Räume, Personen agieren in den unterschiedlichen Bildebenen und sind gleichzeitig ein Teil der Einrichtung und Ornamentik. Außen und Innen werden wie in einem Möbius’schen Band seltsam verknüpft. Wohnen ist wichtig in Deutschland, man will es gemütlich haben, es soll präsentieren, aber es soll gleichzeitig auch individuell sein und in der Einrichtung eine persönliche Note herausstreichen. Man umgibt sich mit einer Einrichtung, die schon aus sich heraus etwas zum Selbstverständnis des Bewohners aussagen soll. Zusätzlich dokumentieren persönliche Fundstücke, Bilder oder Andenken, quasi als Denkmäler punktweise die persönliche Biografie.
Ein wenig grotesk wirken heutzutage Einrichtungskataloge. Vorbei die Zeit, wo einzelne Möbelstücke, eben wie in einem Katalog, aufgelistet werden. Gezeigt werden meistens fertig eingerichtete Räume – oft sogar schon mit Bewohnern. Bilder hängen bereits an den Wänden, Erinnerungsstücke auf den Simsen, Kinderspielzeug liegt verstreut auf dem Boden. ähnliches findet man auf Fotos im Internet auf der Suche nach Ferienwohnungen. Zwar sind die Räume für Feriengäste eingerichtet, spiegeln aber doch mit Sicherheit Einiges aus den Lebensgewohnheiten und der Geschmackswelt der Besitzer wider. Auch hier findet man persönliche Accessoires, als ob die Ferienwohnungen bewohnt wären, teilweise liegt eine Tasche auf einem Stuhl, oft brennen die Lampen bis auf genau eine – man weiß nicht, ob defekt oder vergessen einzuschalten –, Tassen stehen auf dem Tisch, als ob die Bewohner gerade aufgesprungen wären. Ein wenig wie in dem Film “Bladerunner” von Ridley Scott werden, statt den eventuell zu Depressionen neigenden Robotern, hier den Räumen künstliche Biografien und Erinnerungen eingepflanzt.
Teilweise werden die Räume nahezu realistisch dargestellt, teilweise brechen die dargestellten Räume an einzelnen Stellen auf oder sie erweitern sich zum Außenraum. Personen stehen bzw. sitzen teilnahmslos herum, gleichwertig zu den abgebildeten Einrichtungsgegenständen bzw. Architektur– oder Landschaftselementen. Manchmal lösen sich diese Figuren sogar direkt in ihrer Umgebung auf. Hotelzimmer oder Ferienwohnungen werden zusätzlich durch die Farbgebung, die Ornamentik verfremdet. Reimer lotet hierbei die malerischen Möglichkeiten auf gekonnte Weise aus.
Er beschreibt das scheinbar Bekannte, fokussiert das scheinbar Unwesentliche, wie z. B. Sessel, Sitzgruppe, Couchtisch, Schrankwand oder Gebäude, alles dies Elemente des bewohnten wie umbauten Lebens, die uns fast nicht mehr auffallen, weil sie so sehr zum Alltag gehören. Reimer macht diese Dinge wieder sichtbar. Die uns eigentlich unbekannten Räume und Landschaften wirken auf uns seltsam vertraut, evozieren Erinnerungen an schon mal Gesehenes oder Erlebtes. Die Bilder erzählen Geschichten, die nicht in Worte zu fassen sind, besitzen eine melancholische Atmosphäre und wirken dabei seltsam anrührend, ein unbestimmtes Gefühl, das noch längere Zeit nachklingt. Dies ist vielleicht das überraschendste: Reimers Bilder gehen einem nicht mehr so leicht aus dem Kopf – aber seichte Melodien sind sie wirklich nicht.

Die Macht der Gewohnheit

Frau Dr. Melanie Klier im Gespräch mit Hermann Reimer

Er gilt als ein Meister eines ganz erstaunlichen, zeitgenössischen Interieurs von maximalem Wiedererkennungswert. Er malt surreal anmutende Raumsituationen, in denen er Einrichtung, Figuren und hereinbrechende Landschaft wie Staffage und Versatzstücke arrangiert: als ineinandergreifende Texturen, als Muster eines merkwürdig anrührenden Erinnerungsraumes. In welchem die Frage nach konkreter Verortung unbeantwortet bleibt. In dem die Idee einer künstlich kreierten Biografie von Mensch und Ort verunsichernd heraufdämmert.
Die Rede ist von Hermann Reimer: zeitgenössischer Maler, Wahlberliner, ehemaliger Meisterschüler von Prof. Klaus Fußmann, geboren 1959 in Münster. Seit Kurzem hat er sich zudem einem neuen Sujet verschrieben: dem gerade für uns Deutsche spätestens seit Wort- und Bildkunst der Romantik empfindlich besetzten und beseelten “Wald”. Meist im Großformat auf die Leinwand gebannt, dieselbe überwuchernd. Mit enormer Licht- und Schattenwirkung sowie HeIldunkel-Kontrasten. Ein Erfahrungsraum von nichtminder eindringlich atmosphärischem Moment, Erinnerungskultur und dem Spiel mit Ebenen, Perspektiven und Texturen wie in seinen Räumen. Bleiben wir gleich bei den lnterieurs. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Das war eher Zufall. Ich habe vor Jahren, auf der Suche nach technischer Optimierung, also zur Klärung der Fragen “Wie setze ich Glanzpunkte, erfasse unterschiedliche Oberflächen... im Verbund mit Raumkonstruktion?”, über das Internet nach dem Begriff “Ferienwohnung” gesucht. Dort tauchte ein bizarres Universum an Fotos auf, das mich sofort an Urlaube mit Freunden in den 80er Jahren erinnerte: Wohnen in zusammengeschusterten Retro-Möbeln aus den 60er, 70erJahren der Vermieter. Man musste in merkwürdige Biografien und Einrichtungen eintauchen. Begonnen hatte ich mit sehr kleinen Formaten. Ich habe das Arbeiten nach diesen Fotos eher experimentell betrachtet. Und schnell gemerkt, hier entsteht etwas Tiefergehendes. Und mir war klar: Ich habe meinen Themenkomplex gefunden, der mich künstlerisch interessiert.
Ihre Werke wurden bald größer, bis zu aktuellen Formaten wie 2,50 mal 3,20 Meter. Spannend ist immer die Verfremdung des Gesehenen, niemand würde es wagen von “Fotorealismus” Ihrer Kunst zu sprechen. Trotz aller Präzision. Schließlich verschaffen sich Landschaftselemente oder auch der Gestus selbst in Ihren Räumen Platz. Es wachsen Tapetenmuster in Figuren, diese lösen sich selbst auf. Man ist auf der Suche in Ihren Bildern.
Ja, das ist ein bisschen wie in einem Möbiusband... nicht orientierbar... oder wie in den Endlosräumen von M.C. Escher. Es geht mir um eine ganz eigene räumliche Distribution, trotz immer wieder klarem Bildeinstieg, einem doch nur vermeintlichen Fokus über die Zentralperspektive. Um das Spiel mit unterschiedlichen Ebenen, um Wechselwirkungen. Ich hatte, bevor ich die Malerei zu meinem Beruf gemacht habe, Physik studiert. Wobei das Entstehen der Räume für mich immer ein Abenteuer ist, bei dem ich bei aller Planung nie weiß, wo die Reise hingeht. Der Blick dringt in die Bildebenen ein, wandert im Bild herum, verliert sich und kommt jedes Mal an einer neuen, überraschenden Stelle wieder heraus. Zeit und Raum verbinden sich.
Denkt man die Idee des physikalisch Elementaren, auch von Modellen, weiter... im Sinne von Inhalten für Ihre Bildkunst... Kindheit, Zuhause, Lebensraum in Ihren gemalten Räumen. Gibt es Zusammenhänge?
Unbedingt. Wenn auch nicht bewusst so konstruiert. Ich denke eher so: Man schafft sich heute, um auf die Einrichtung meiner Interieurs zurückzukommen, eine falsche Biografie. Ein interessanteres Leben und ist dabei merkwürdigen Automatismen verhaftet. Nehmen wir das Werk “Die Macht der Gewohnheit”. Das junge Paar hat sich mit Erinnerungsstücken umgeben, die gar nicht zu ihm gehören: Mit der goldgerahmten Fabrik...dazu lebt es durch das Inventar ein katalogmäßig vorgeformtes Lebensgefühl, das mit Individualität nichts zu tun hat. Dahinter erkennbar... der Traum von Freiheit und eigenem Heim. Ich denke oft, wenn ich Einrichtungskataloge ansehe, an den Filmemacher Ridley Scott, an “Blade Runner” und die Idee der “implantierten Vergangenheit”. Meine Bildertransportieren so eine gewisse tägliche Komik.
Auch Tragikomik? In Ihrem Werk “Sonnenblumen” hängt Vincent van Goghs gleichnamiges Stillleben an der Wand, im menschenleeren Raum. Und - schmückt, gedoppelt als Strauß in der Vase, den Couchtisch. Sie rekurrieren in Ihrer Farbraumgestaltung auf den Komplementärkontrast von Blau, Gelb und Gelbbraun des Meisterwerks und variieren diesen ...
... und in der linken Bildhälfte stürzt man durch die Raumöffnung ins Bodenlose. Es ist doch nahezu bodenlos, dass die künstlerische Ausdrucksform und die Lebensweise eines seinerzeit verpönten, bewegten, expressiven Genies zur dekorativen Belanglosigkeit im schlichten Raum eines einfachen Gemüts schrumpfen. Mich interessiert, wo der Wechsel stattgefunden hat.
In “Kunstraum 4” erkennt man, bei genauerer Betrachtung, anstelle der Sockelleisten eine Untermalung mit Landschaftselementen...
Als ehemaliger Schüler von Klaus Fußmann hat man gelernt, wie man Räume atmosphärisch gestaltet. Man weiß auch umgekehrt, wie Landschaft zum Raum wird. Die Lichtwirkung ist auch entscheidend. Das Einsetzen von Farbe als Licht, Lichttemperaturen, von Spots, Lichtflecken, von starken Hell-Dunkel-Kontrasten ist essentiell - fürs Drinnen wie Draußen, und mich interessiert auch der Bruch mit dem Realen.